Mein Leben bis zum Kriege by Ringelnatz Joachim

Mein Leben bis zum Kriege by Ringelnatz Joachim

Autor:Ringelnatz, Joachim
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T00:00:00+00:00


Seefahrten

Ich muß hier die Erzählung »Das Abenteuer um Wilberforce« unterbrechen, weil sie die folgenden Ereignisse mehrerer Jahre mit allzu wenig Sätzen abtut. –

In Hamburg lebte ich nun also wieder so wie früher. Am Tag Stellung suchend, abends in der Wirtschaft von Seidlers mit Trinkbrüdern lärmend oder mit Meta schwärmend. Ich war tief und sentimental in sie verliebt. Es gab ein Lieblingslied auf der Spieluhr dort, das wir beide liebten und für das ich manchen Groschen opferte. Ein Lied aus der Oper Norma. Wieder machte ich Schulden bei Seidlers und bei Krahl, die ich schließlich meinem Vater eingestehen mußte. Der zahlte und zahlte.

Dann nahm ich eine Stellung als Schiffsjunge auf dem Dampfer »Ramses« von der Cosmos-Linie an. Schaffte meinen Seesack an Bord, der mein Hab und Gut enthielt, und begann sogleich meinen Dienst. Das Schiff nahm Ladung. Es fiel mir schwer, wieder den Schiffsjungen zu spielen. Ich hatte die Stellung nur aus Not angenommen. Als mir eines Morgens der Erste Offizier verbot, in Holzpantoffeln über Deck zu gehen, entstand ein Wortstreit, der damit endete, daß ich den Offizier stehen ließ, mich umzog und das Schiff verließ. Am Stammtisch erzählte ich dann aufgeblasen, wie keck ich dem Offizier pariert hätte und daß ich auf keinen Fall diesen »lumpigen Kasten« wieder betreten würde.

In derselben oder in der folgenden Nacht teilte mir ein Telegramm mit, ich wäre als Leichtmatrose auf dem Ozeandampfer »Columbia« angenommen und sollte mich sofort einschiffen. So verabschiedete ich mich auf Pump splendid, küßte Meta und bat Papa Krahl, er möchte meine auf der »Ramses« zurückgelassenen Effekten abholen.

Was ich selbst an Sachen auf die »Columbia« mitnahm, trug ich in einem Taschentuch.

»Columbia« war damals der größte Passagierdampfer der Hapag. Vier gewaltige Schornsteine hatte er. Und Luxuskabinen und erste Klasse und zweite Klasse. Außerdem reisten im Zwischendeck Hunderte von polnischen Auswanderern. Die hausten da unten zwischen ihrem bunten Sack und Pack und Kindern und Windeln in einem erbarmungswürdigen Durcheinander. Sie fragten unaufhörlich und stellten sich so hysterisch an, besonders die Weiber und die Seekranken, daß wir bei starkem Sturm die Türen zum Zwischendeck abschlossen und niemand an Deck ließen. Neben ihnen und uns Schiffsarbeitern: die reichen Reisenden mit ihren eleganten Garderoben, Schlemmermahlzeiten, Faulenzerspielen und Festivitäten mit Musik und allem erdenklichen Luxus. Da lebten zwei Gegensätze eng nebeneinander. Aber ich fand diese Fahrt berauschend, besonders die Nächte. Die Sonnenbrenner brannten aufregend. Der Qualm aus den Schornsteinen verwehte weithin übers Meer, das nahm sich aus wie Heldensagen.

Einmal sichtete ich auf solcher Nachtwache ein Wrack. Es war ein Stück Gebälk, wie ein Floß. Da eine Laterne darauf brannte, war anzunehmen, daß lebende Menschen darauf waren. Ich sah es, und noch jemand sah es, und wir riefen die Meldung zur Brücke hinauf. Aber die »Columbia« stoppte nicht, sondern jagte weiter. Vielleicht mochte der ehrgeizige Kapitän in dem Rennen um das Blaue Band die Fahrt nicht aufhalten.

Daneben gab es für uns Seeleute leichte Anekdoten, von denen sich die meisten ums Essen oder um Trinkgelder drehten. Manchmal suchten noble Passagiere aus Neugier unser Logis auf. Den Damen, die die steile Treppe zu uns herabstiegen, schielten wir unter die Röcke.



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